Forschend - entwickelnder Biologieunterricht
in der Sekundarstufe I

 

Ulrich Bossert

 

 

Das forschend - entwickelnde Verfahren

Über den wissenschaftspropädeutischen Biologieunterricht in der Sekundarstufe II liegen schon lange ausführliche Darstellungen vor /1/. Die Bedeutung soll kurz ins Gedächtnis gerufen werden: Unterrichtet man die üblichen Unterrichtsinhalte forschend-entwickelnd, so können die Schülerinnen und Schüler naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen üben, reflektieren und Bedeutung und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis erörtern. Zusätzlich zu dem "normalen Stoff" wird ein wesentlicher Aspekt behandelt, der, optimistisch formuliert, zu einem besseren Weltverständnis führen kann. Für mich ist dieses Einüben von Problemlösungen der wesentliche Unterrichtsinhalt - das reine Sachwissen kann man selbständig nachlesen.

Zwei Gefahren gilt es zu vermeiden: 1. Die Freude und das Vergnügen an den Lebewesen sollte erhalten und gefördert werden und nicht durch Versuchstechniken und die scheinbare "Machbarkeit" von allem aus dem Blick verschwinden. 2. Die Erörterung der Bedeutung, der Folgen und der Grenzen gewonnener Erkenntnisse sollten nicht vergessen werden.

Die dargelegten Aspekte kann man kaum überschätzen. Gleich wichtig ist aber ein mehr methodischer Aspekt. Der forschend-entwickelnde Unterricht erlaubt von der ersten bis zur letzten Minute eine breite und sinnvolle Mitarbeit aller Schülerinnen und Schüler. Durch die gemeinsame Beobachtung, die am Anfang steht, sind für alle gleiche Startvoraussetzungen gewährleistet. Alle sollten in der Lage sein, das Gesehene (Gehörte, ... ) zu beschreiben und die sich daraus entwickelnden Fragestellungen zu formulieren. Bei der Hypothesenbildung und der Entwicklung von Experimenten werden Kreativität und vernetztes Denken gefordert. Der Unterricht ist interessant, voraussetzungslos und anspruchsvoll.

Diese breite Möglichkeit der Mitarbeit ist in meinen Augen so wichtig, daß sie es rechtfertigt, wenn nicht gar verlangt, die Methode in jeder Jahrgangsstufe und über die volle Schulzeit einzusetzen. Warum sollten jüngere Schülerinnen und Schüler nicht auch in einen "Dialog mit der Natur" treten.

An dem Schaubild kann man sich den gewünschten Ablauf verdeutlichen.

 

Schwierigkeiten und Grenzen

Nur im Idealfall, etwa bei der Durchführung eines Projektes, werden die Schülerinnen und Schüler in der gewünschten Form das "Forschungsdesign", wie es z.B. in /3/ beschrieben ist, in vollem Umfang selbst praktisch durchführen können. Nur zu oft wird man leider auf die Originalbegegnung verzichten müssen und als Ersatz auf einen Film oder einen Bericht zurückgreifen. Das Beobachten läß t sich aber auch an diesem Bild aus zweiter Hand einüben, ebenso sind dem brainstorming bei der Hypothesenbildung kaum Grenzen gesetzt. Beim praktischen Experimentieren sieht die Situation wieder schlechter aus. Die Versuche, die Schülerinnen und Schüler vorschlagen, kann man aus Zeit-, Ausstattungs- oder Komplexitätsgründen meist nicht durchführen. Beim Ersatz liegen die Grenzen all zu oft in dem beschränkten Wissen bzw. in dem beschränkten Material, das man zur Verfügung hat. Man muß nicht nur die Fakten kennen, sondern man muß zur Veranschaulichung des Versuchsablaufs und zur Darstellung des Experiments Dias ohne Beschriftung, Folien ohne Erklärungen, Filme ohne Erläuterungen, Versuchsergebnisse in Tabellenform, in graphischer Darstellung, etc. zur Verfügung haben. Man benötigt eine riesige Materialmenge und eine gute Übersicht bzw. einen guten Zugriff. Selbst wenn das alles gegeben ist, kann der Unterrichtsverlauf eine überraschende Wendung nehmen und es können von den Schülerinnen und Schülern geeignete Versuche vorgeschlagen werden (besonders im Bereich der Verhaltensforschung), deren Ergebnisse man im Moment nicht parat hat oder die auch gar nicht vorliegen.

Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte immer klar werden, daß man neben der Komplexität des Lebewesens bzw. des Systems auch die Zeit reduziert und man allenfalls eine Modellvorstellung (Welt"bild") erhalten hat. Die gesellschaftlichen Folgen liegen für intelligente Schülerinnen und Schüler oft auf der Hand - sie sollten trotzdem formuliert und erörtert werden.

Im Prinzip läßt sich jeder naturwissenschaftliche Stoff forschend-entwickelnd unterrichten, da der Sachverhalt ja auf diese Weise aufgeklärt wurde. Es gibt aber Gebiete ( z.B. der innere Bau von Insekten, die menschliche Keimesentwicklung, ... ), bei deren Behandlung Zeitaufwand und Schwierigkeitsgrad zu hoch werden.

Unterrichtet man nach der beschrieben Methode, so ist das angeeignete Faktenwissen pro Schulstunde geringer. Die behandelte Stoffmenge ist insgesamt geringer. Das, was zusätzlich gelernt wurde, läßt sich durch Standardaufgaben nur schlecht überprüfen.

Weil es im Schulunterricht und auch im Studium noch oft die aufgezählten Probleme gibt, spreche ich lieber von forschend-entwicklendem Unterricht als von Wissenschaftspropädeutik, die aber angestrebt werden sollte. In dem Begriff "forschend-entwicklender Unterricht" stecken zwei Aspekte. Einmal ist mit den beiden Adjektiven gemeint, daß Forschung zeitlich und logisch entwickelt bzw. nachvollzogen wird. Zum anderen bedeutet in der Praxis "entwicklender Unterricht", daß die Lehrerin bzw. der Lehrer an einigen Punkten vorsichtig führend eingreift und leitet.

 

Literatur

/1/ Falkenhausen, E.v.: Wissenschaftspropädeutik im Biologieunterricht. - Aulis Verlag. - Köln, 1985

/2/ Raven, P.H. et al.: Understanding Biology. - Brown Publishers. - Dubuque, IA , 1988. - S. 10

/3/ Asdonk, J.: Forschen im naturwissenschaftlichen und technischen Unterricht. - In : Lernbox. - S. 5 - In.: Friedrich Jahresheft XV. - Friedrich Verlag. - Seelze, 1997

 



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Domäne  Bossert

updated 28. September 1998
© B.Bossert