Die schwierige Lage des Biologieunterrichts -
Vorschläge zur Verbesserung
Der nachfolgende Artikel ist erschienen in: Biologie in der Schule 47 (1998) 5-S.262-267
Paradoxien
Die folgenden Ausführungen sind bewußt überspitzt formuliert.
Sie sollen zum Nachdenken über die Schulpolitik anregen und Bewegung in diese bringen, die häufig nur noch Finanzpolitik
ist. Die Darlegungen sollen nicht den Eindruck erwecken, daß es nur
unsinnige Entscheidungen von Behörden, nur ausgefallene Ideen zum
Biologieunterricht, nur faule Lehrer und nur uninteressierte
Schüler gibt; der jeweilige
Leser ist sowieso ausgenommen. Ich bitte deshalb, nicht über einzelne
Formulierungen zu streiten, sondern die Überlegungen als einen Anstoß
zu betrachten, die Ausbildung unserer Schüler
zu verbessern. Es geht nicht um ein Fach, sondern um die Zukunft der Jugendlichen
– deshalb sollte niemand beleidigt schmollen, sondern jeder sollte mithelfen, Veränderungen diesbezüglich zu bewirken.
Die Analyse basiert natürlich auf meinem Erfahrungsbereich; im großen und ganzen wiederspiegelt sie aber sicher die Situation des Biologieunterrichts in Deutschland.
Im Bereich des Biologieunterrichts und der naturwissenschaftlichen
Fächer insgesamt gibt es Paradoxien, die schwerwiegende Folgen haben könnten und zum Teil schon haben.
Manchmal taucht die Spitze des Eisberges auf – der Mittelplatz,
den Deutschland bei den internationalen Studien zum mathematischen und
naturwissenschaftlichen Unterricht ( beide TIMSS ) eingenommen hat. Den
Rest verbirgt das trübe Wasser des dezentralen Abiturs – falls die
Universitäten und die Industrieverbände sich nicht gerade laut zu Wort melden.
Jeder hebt die Bedeutung der Naturwissenschaften für
die Zukunftsgestaltung der Menschheit hervor. Darin sind sich alle einig. Allerdings sehen einige die Rolle der Naturwissenschaften und der Technik negativ, andere positiv.
Biologie wird allgemien als Schlüsselwissenschaft der Zukunft angesehen. Auch
sie wird zwiespältig beurteilt.
Trotz dieses hohen Stellenwertes steht die Gesellschaft
den Inhalten der Naturwissenschaften oft gleichgültig gegenüber. Sie nutzt zwar
die Errungenschaften der Naturwissenschaft, kümmert sich aber nicht um die Einsichten.
Die Politiker, denen in "Sonntagsreden" die Ausbildung der
Kinder und Jugendlichen am Herzen liegt, kürzen in der Realität jedoch die Wochenstundenzahlen für naturwissenschaftliche Fächer. So hat beispielsweise die letzte Änderung der Stundentafeln in Hessen die Gesamtzahl der Wochenstunden für Biologie,
Chemie und Physik in der Sekundarstufe I um 3 Stunden (von 22 auf 19) verringert.
Siebenmal (!) wird eines der Fächer einstündig oder epochal unterrichtet.
Die drei Fächer können zu dem Fach "Naturwissenschaften" zusammengefaßt
werden. Das führt zu fachfremdem Unterricht und unweigerlich zur nächsten
Kürzung der Stundenzahlen.
Die zunehmenden Klassenfrequenzen verstärken
all diese Probleme.
Die Abiturprüfungsordnung vieler Bundesländer
bringt es mit sich, daß Biologie von über der Hälfte aller
Abiturienten als Prüfungsfach gewählt wird.
Auf dem "Fundament" von 8 Stunden in der Sekundarstufe I ruhen dann die
8 bzw. 12 Stunden der Sekundarstufe II. Das ist eine sehr wackelige Konstruktion.
Abbildung 1 zeigt das Planungsmodell. Real fällt in der Mittelstufe der Biologieunterricht häufig aus; an manchen Schulen gibt es nur zweistündige Grundkurse.

National und global gesehen türmen sich Probleme
auf, die von der heranwachsenden Generation gelöst werden müssen.
Die Zukunft wird die Menschen vor weitere z.T. ganz unerwartete Aufgaben
stellen.
Stimmt man mit dieser Sicht der Dinge überein, so
müßte man verlangen, daß schon die Ausbildung in der Sekundarstufe
I (alle sollen ja die Probleme beurteilen und lösen können) zu
einem Weltbild führt, das zwar nicht vollständig sein kann, das
aber eine für die Heranwachsenden erkennbare Grundstruktur zeigt und
ein lebenslanges Lernen erleichtert.
Da den Gestaltungskriterien für die Rahmenpläne
Allgemeine Biologie, die (momentane) Gesellschaftsrelevanz und die (momentanen)
Schülerinteressen zugrunde liegen, entsteht für den Jugendlichen
kein Grundmuster, das er später weiter ausführen kann. Für
den Fachmann, der eine ganz andere Ausbildung hat, wird ein Muster sichtbar
– aber auch das ergibt kein Weltbild.
Es geht nicht darum, ob die Fachwissenschaft in der Fachdidaktik
abgebildet werden soll (sicher nicht) oder ob die momentane Gesellschaftsrelevanz
bei der Auswahl vorrangig entscheidend ist. Bedeutender ist, wie ein solides
Gedankengerüst entsteht, an dem lebenslang weitergebaut werden kann.
Für Lehrpläne kann es begründete Argumente,
aber kein "richtig" oder "falsch" geben, da es um gesellschaftspolitische
Entscheidungen geht. Es gilt, was das entsprechende Kultusministerium verordnet,
damit ist es noch lange nicht automatisch richtig. Ob die Entscheidung
für die Kinder richtig war, zeigt sich viel später. Ein unmittelbarer
Zusammenhang läßt sich bei der Komplexität der Situation
ohnehin nicht nachweisen.
Hinzu kommt die für einen Außenstehenden sicher
sehr merkwürdige Tatsache, daß die Lehrpläne für die
beiden Stufen wenig aufeinander abgestimmt sind.
Die Lehrpläne für die Sekundarstufe II stimmen
in den verschiedenen Bundesländern und einigen europäischen Ländern
(z.B. Frankreich, Italien) weitgehend überein. Sie lehnen sich stark
an die Fachwissenschaft an und besitzen, zumindest auf dem Papier, einen hohen
Anspruch.
Das Fundament (Sekundarstufe I) gestaltet jedes Bundesland
selbst. Fachwissenschaftliche Überlegungen spielen häufig eine
Nebenrolle.
Immer wenn die Gesellschaft Probleme nicht lösen
kann, überträgt sie sie der Schule bzw. in diesem Fall dem Biologieunterricht.
Verkehrsprobleme und Suchtprävention sind zwei Beispiele von vielen
aus dem Rahmenplan des Hessischen Kultusministeriums für die Jahrgangsstufen
7/8.
Die Stundentafeln sehen in Hessen für die 8. Klasse
je eine (!) Wochenstunde für Biologie, Chemie (beginnt erst in dieser
Klassenstufe) und Physik vor. Das sind "ideale" Voraussetzungen für
die Vernetzung der erarbeiteten Inhalte und die Konzeption fächerübergreifender
Projekte z.B. zur Lösung der Verkehrsprobleme und der Abwehr der Drogengefahr.
Beides sind ernstzunehmende Themen und die überspitzte Darstellung
soll deutlich machen, daß sie bei der zur Verfügung stehenden Zeit höchstens angesprochen werden können.
Ein Biologieunterricht von maximal acht Wochenstunden in
der Sekundarstufe I auf 6 Schuljahre verteilt mit einem Inhalt, dessen
Konzept von dem der folgenden Jahre stark abweicht, ist, vorsichtig formuliert,
sicherlich keine gute und verantwortungsvolle Vorbereitung der Schüler auf die Sekundarstufe II.
In der Sekundarstufe I wird in Hessen dringend empfohlen,
die Inhalte der naturwissenschaftlichen Fächer zu vernetzen. Oft ist
kein Inhalt da, weil mal dieses und mal jenes Fach dem schulinternen Rotstift zum Opfer gefallen
ist. In der Sekundarstufe II reicht es aus, eine Naturwissenschaft zu belegen.
Viele Schüler wählen Biologie als Prüfungsfach, Chemie und Physik jedoch ab. Naturwissenschaften können deshalb auch hier nicht vernetzt werden.
Die Naturwissenschaftler und ihre Verbände fordern
mit Recht immer wieder eine Erhöhung der Stundenzahlen für die
Fächer Mathematik, Biologie, Chemie und Physik. Die Biologielehrer
und die Vertreter der Fachdidaktik beklagen die schmale Stundenbasis des
Biologieunterrichts.
Betrachtet man die Mehrzahl der Veröffentlichungen zum
Biologieunterricht, so ist es unverständlich, welche Vorschläge in fachdidaktischen Beiträgen für die wenigen kostbaren Stunden häufig gemacht werden. Statt die Inhalte
sorgfältig auszuwählen und die Stoffdichte pro Unterrichtsstunde
zu erhöhen, findet man häufig Vorschläge, über die
man sich nur wundern kann. Oft wird ein Thema, das zwar interessant ist,
im vollen Lehrplan aber nur eine Nebenrolle spielen kann, zu einer umfangreichen
Unterrichtsreihe ausgedehnt. Eine Examensarbeit, die nur mit Spezialgeräten
des Instituts durchgeführt werden konnte, wird als Experiment für
den normalen Unterricht vorgeschlagen. Als besonderen Auswuchs möchte
ich zuletzt noch die weit verbreiteten Kreuzworträtsel anführen.
Zu diesen z.T. interessanten, aber für die Praxis
ungeeigneten Vorschlägen kommt dann noch das eigentliche Problem:
das Dilemma der Didaktik. Wie oft wurde in den letzten Jahrzehnten der
Stein der Weisen wieder und wieder entdeckt.
Die Allgemeine Didaktik und auch die Fachdidaktik als Geisteswissenschaften
können aber trotz aller empirischer Ansätze keine Auswahlkriterien
"beweisen". Die Wahrheit gibt es auch in den Naturwissenschaften nicht.
Außerdem lassen sich für die fernere Zukunft
(Lehrpläne sind langlebig) nur Trends für einzelne kleine Bereiche
angeben; eine Gesamtentwicklung oder gar Wendungen lassen sich nicht voraussehen.
Unbestritten nehmen die Informationsflut und der Wissensfortschritt zu; d.h. kontinuierliche Weiterbildung der Biologielehrkräfte ist
von großer Bedeutung.
Sieht man dann, wie viel Aufwand für den Unterricht
und die Verwaltungsarbeit nötig sind und wie wenig von der verbleibenden
Zeit einzelne Lehrer bereit sind, der individuellen Fortbildung zu opfern,
so kann man sich vorstellen, daß das zu mangelnder Unterrichtkompetenz führen
muß. Die Veranstaltungen der Lehrerfortbildung finden bis auf wenige
Ausnahmen in der Unterrichtszeit statt und die angebotenen Themen sind oft sehr exotisch – d.h.
sie bilden für etwas fort, das aus Zeitmangel höchstens in Projektwochen
stattfinden kann.
Unterricht im Team, eine sehr gute Weiterbildungsmöglichkeit,
ist jederzeit möglich – soweit man gewillt ist, die zusätzliche
Zeit zu opfern; Deputatstunden stehen dafür kaum zur Verfügung.
Statt die Lehrer bei der täglichen
Arbeit, den Studienfahrten, sonstigen Sonderaufgaben und den wachsenden organisatorischen
Aufgaben zu unterstützen, sichert sich die Verwaltung durch
eine Unzahl von Vorschriften ab und überlegt, wo etwas auf Kosten
der Kollegen und damit letztlich der Kinder gespart werden kann.
Wenn die Ausbildung so wichtig für die Zukunft der
Jugendlichen ist, müßte die Qualität des Unterrichts kontrolliert
werden. Eine direkte Kontrolle des Unterrichts ist nur sehr schwer möglich
und wird von vielen Kollegien abgelehnt. Eine indirekte Qualitätskontrolle
durch Zusammenarbeit der Lehrer ist leider viel zu selten. Zentrale Prüfungen
bzw. ein zentrales Abitur gibt es nur in wenigen Bundesländern.
"Das Theaterspielen wird nicht leichter aus dem einfachen
Grund, weil sich die unmittelbare Lebenserfahrung der Menschen reduziert,
immer gleichmäßiger wird: Immer mehr Leute erleben mehr oder
weniger dasselbe, es gibt eine Normierung des Erlebten und eine unglaubliche
Zunahme an virtuellem Erlebten." (Peter Stein, FAZ vom 8.2.98, S.3)
Dieses Zitat aus einem Interview mit Peter Stein kann
man ohne Abstriche auf die Schule übertragen.
Die Schüler sind arm an wirklichen Erfahrungen und
zum Teil abgebrüht, was ihre aus dem Fernsehen gewonnene Eindrücke
von Monstrositäten betrifft. Diese Entwicklung wird durch die zunehmende
Leseunlust verstärkt.
Obwohl allen Schülerinnen und Schülern bei steigenden
Arbeitslosenzahlen und steigenden Anforderungen in der Zukunft der Wert
einer guten Ausbildung klar sein müßte, bestehen manchmal Disziplin-
und Motivationsprobleme, die freilich die Jugendlichen nicht allein zu
verantworten haben. Sie gehen z.T. auf die ichbezogene Erziehung zurück,
die die individuellen Interessen in den Vordergrund stellt
.
Die Schülerinteressen haben aber zwei Aspekte: Zum
einen die subjektiven Interessen eines jeden Einzelnen, die sich zu einer
diffusen Klasseninteressenslage addieren, zum anderen die objektiven Schülerinteressen,
die der Pädagoge auch oder zu allererst bedenken sollte: Was benötigen
die Jugendlichen in der Zukunft.
All zu oft stehen die kurzfristigen, subjektiven Interessen
der Jugendlichen im Vordergrund.
Bessere Lehrplangestaltung
Verbesserungsvorschläge
-
1. Die Stundenzahl und die Klassenfrequenz
Voraussetzung für eine Verbesserung ist ein offeneres
Verhältnis der Gesellschaft zu den Naturwissenschaften. Die Allgemeinheit
sollte sich neugierig und skeptisch um deren Inhalte bemühen. In den
Stundentafeln sollte sich die Bedeutung der Naturwissenschaften widerspiegeln
– d.h. die Stundenzahl sollte erhöht werden.
Kleinere Klassenfrequenzen wären für
viele Schüler ein großer Vorteil. Viele
Disziplin- und Motivationsprobleme würden gemildert, wenn die Lehrkräfte
wieder mehr Zeit für den Einzelnen hätten.
Eine Erhöhung der Gesamtstundenzahl der naturwissenschftlichen
Fächer in der Sekundarstufe I würde auch helfen, den oft beklagten
Rückstand der Mädchen auf diesem Gebiet abzuschwächen; dann
müßte man später keine "Reservate" schaffen.
Hier sind große Würfe, aber auch Veränderungen in kleinen Schritten möglich. Alle Beteiligten können dazu etwas beitragen.
Es ist hoffentlich klar geworden, daß es nicht um
entweder Fachwissenschaft oder Gesellschafts- und Schülerrelevanz
geht, sondern um beides, einen Kompromiß, der noch viel mehr einbeziehen
muß als diese Aspekte.
Nimmt man die Absichtserklärungen vom lebenslangen
Lernen ernst ( sie stehen meist nur im Vorwort zu den Lehrplänen
) und bedenkt außerdem, daß wir erst am Anfang der Informationsgesellschaft
stehen, so wird klar, daß ein ganz anderer Lehrplanansatz nötig
ist. Wie diese Grundstruktur, die größtenteils die gleichen
Inhalte haben kann, aussehen soll, kann man aus dem folgenden Zitat ableiten:
"Intelligent organisiertes inhaltliches (Vor-) Wissen
ist eine notwendige Voraussetzung für den intelligenten Umgang mit
Information aus einem anspruchsvollen Inhaltsbereich" /1/.
Es ist einsichtig, daß nur strukturiertes Wissen
ein weiteres selbständiges Lernen ermöglicht. Es muß ein
Grundmuster eines (Welt-) Bildes vorhanden sein, das einen Gesamtüberblick
erlaubt und das in der Zukunft Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen vervollständigt
und erweitert werden kann. Wenn das Wissen, wie es in den Lehrplänen
der Sekundarstufe I fast durchweg der Fall ist, nicht in ein für die
Schülerinnen und Schüler klares System eingebettet ist, hängen
die Mosaiksteinchen in der Luft, das Wissen ist bruchstückhaft, die
Merkfähigkeit verringert. Nur eine Vorstellung davon, wie naturwissenschaftliche
Erkenntnis zustande kommt und ein Gesamtbild, sei es auch noch so unvollständig,
erlauben es, Information zu bewerten, einzuordnen und sinnvoll zu nutzen
und auf diese Weise die Informationsflut zu integrieren.
Wie koordiniert man nun die Felder, die alle berücksichtigt
werden sollen: Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Schülerinteressen,
Gesellschaftsrelevanz, allgemeine Erziehungsziele, Arbeitstechniken, experimentellen
Unterricht, Entwicklung von Projekten, Entwicklung eines geschlossenen
und ausbaufähigen Bildes usw., usf.?
Die Lösung muß notwendigerweise komplex sein.
Vorschläge zu einer Verzahnung gibt es schon. Ein früher Beitrag
ist "Strukturgitter der Naturwissenschaftsdidaktik" von Michael Ewers /2/
und ein neuerer ist der matrixartige Entwurf "Versuch einer Darstellung
des Erwerbs fachspezifischer Bildung und fächerübergreifender
Allgemeinbildung durch die Biologie" von einer Kommission des Verbandes
Deutscher Biologen /3/. Beide Arbeiten enthalten eine Fülle von Anregungen;
es fehlt aber beiden eine einheitliche Grundstruktur, es ergibt sich kein
Gesamtbild.
Überlegt man, was als Gliederung dienen kann, so
bietet sich das natürliche System an. Um allen Mißverständnissen
vorzubeugen, will ich betonen, daß keine Rückkehr zu Monographien
Schmeilscher Prägung (auch nicht in versteckter Form) geplant ist
und daß das System nicht Selbstzweck ist, sondern nach und nach als
Gerüst, Ordnungssystem und Gedächtnisstütze aufgebaut werden
soll. Der Zeitaufwand dafür beträgt wenige Stunden in der gesamten
Sekundarstufe I und der strukturierende Effekt ist enorm.
In Klasse 5 – 7 kommt man mit der Einteilung in Tiere
und Pflanzen aus; neben den Wirbeltierklassen stehen einige ausgewählte
Klassen der Wirbellosen.
In Klasse 8 sollte man die fünf Reiche /4/ einführen und die bisher kennengelernten Einheiten integrieren. Der Ordnungseffekt
ist verblüffend, der Wert für den Unterricht in der Sekundarstufe
II groß.
Wie Übersicht 1 zeigt, sind die fünf Reiche
nur eines von mehreren Auswahlkriterien. Es ist nicht das wichtigste Kriterium,
aber das, das die Struktur gibt. Die Unterrichtsinhalte sind Themen der
Allgemeinen Biologie; sie sollten aber so ausgewählt werden, daß
nach und nach möglichst viele systematische Klassen berücksichtigt
werden. Es ist nicht so wichtig, daß alle Gruppen behandelt werden,
sondern daß das System deutlich wird. Die Reihenfolge der Behandlung
im Unterricht entspricht (im Text des Artikels steht hier ein falsch eingefügtes 'derzeit') nicht der Anordnung im natürlichen System.
Im Mittelpunkt des Unterrichts steht also ein aus einer
Beobachtung abgeleitetes Problem der Allgemeinen Biologie, das von den
Schülerinnen und Schülern forschend-entwickelnd gelöst wird
/5/. Der Lösungsplan orientiert sich an der naturwissenschaftlichen
Denkweise. Für den konkreten Fall werden eine angemessene Arbeitsweise
und geeignete Arbeitstechniken ausgewählt; dadurch ist der Unterricht
auch handlungsorientiert.
Es müssen also alle Auswahlkriterien erfüllt
sein: Das Thema aus dem Bereich der Allgemeinen Biologie muß so ausgewählt
werden, daß es von der Altersgruppe forschend-entwicklend gelöst
werden kann und wichtige Arbeitsweisen und –techniken kennengelernt und
eingeübt werden. Die Lösung wird kritisch beleuchtet.
Der biologische Stoff ist aber nur dann ausreichend begründet,
wenn für ihn zusätzlich noch Argumente aus den Feldern "Schülerinteressen"
und "Gesellschaftsrelevanz" sprechen. Das Problem muß so ausgewählt
sein, daß es sowohl wichtig für den Einzelnen als auch die Gemeinschaft
ist. Der Unterricht ist auf die Aufgabe zentriert; sein Verlauf aber so
geplant, daß auch soziale Fertigkeiten erworben und geübt werden
können.
Für jede konkrete Unterrichtsstunde sollte
es eine oder mehrere Begründungen aus jedem der Auswahlfelder
geben. Dadurch ist sichergestellt, daß sich kein Gebiet ( z.B. die
Systematik ) verselbständigt; ein Feld relativiert und kontrolliert
das andere. Kein Auswahlfeld ist Selbstzweck, aber jedes ist bedeutungsvoll
und dient gleichzeitig den anderen.
Das Neue an diesem Vorschlag ist, daß versucht werden
soll, das Wissen anhand der Systematik und der Allgemeinen Biologie so
darzubieten, daß für die Jugendlichen eine Grundstruktur entsteht,
die durch die Einsicht in naturwissenschaftliche Arbeits- und Denkweisen
so erweitert wird, daß ein geschlossenes, wenn auch noch lückenhaftes
Gedankengebäude der Naturwissenschaft Biologie entsteht.
Übersicht 1
zeigt zwei Dinge: einmal eine allgemeine
Möglichkeit, zu einer guten didaktischen Begründung für
eine Unterrichtsstunde zu kommen und zum anderen ein ganz konkretes Beispiel
zur Veranschaulichung.
Die allgemeine Möglichkeit wurde schon oben dargelegt:
es sind die einzelnen Felder zu überprüfen und als Auswahlkriterien
heranzuziehen. Die angeführten Punkte in dem Raster sind sehr allgemein
formuliert und damit sehr umfassend. Die einzelnen Listen sind auch sicher
noch nicht vollständig. Es handelt sich um einen Entwurf, der weiterentwickelt werden muß.
In dem durchgehenden Auswahlrahmen stehen einzelne Gesichtspunkte,
sozusagen Unterpunkte der umfassenderen Kriterien, die die didaktische
Begründung für eine Doppelstunde mit dem Thema "Modellexperimente zum Wärmehaushalt der Säugetiere" zeigen. Der Verlauf der Stunde
ist in diesem Heft (s. S. 268 - 271) dargelegt /6/.
Der Auswahlrahmen zeigt, allerdings nur in Verbindung
mit dem anderen Artikel, daß die Stunde didaktisch gut begründet
ist. Es wird auch deutlich, wie stark Didaktik und Methodik verschränkt
sind und daß man schon frühzeitig in der Planung die didaktische
Reduktion und die Methodik der Stunde in Einzelheiten mitbedenken muß,
da sonst der problemorientierte Ablauf nicht sichergestellt ist und die
Auswahlkriterien "Arbeitsweisen" und "Arbeitstechniken" nicht einbezogen
werden können.
Im Mittelpunkt des Unterrichts über den Wärmehaushalt
der Säugetiere steht ein Problem, das die Schüler,
von einer Beobachtung ausgehend, selbst erfaßt haben und an dessen Lösung
sie arbeiten. Die breite didaktische Begründungsbasis führt dazu,
daß sich den Schülern im Verlauf der Stunden
eine große Anzahl vielseitiger Aspekte bieten. Die Mühe, hinter die Lösung
zu kommen, führt zur Aneignung, zu Stolz und Freude bei der Lösung.
Da die Unterrichtsstunden forschend-entwickelnd geplant
sind, ist für alle eine gute Mitarbeit möglich und es werden
alle Schüler gefördert und gefordert.
Mit dem folgenden Zitat von Ruth Berghaus möchte
ich diesbezüglich meine Überlegungen abschließen: "Wenn man den Menschen eine
Arbeit abverlangt, und zwar bis zum Alleräußersten, dann sind
sie froh. Dann sehen sie in der Arbeit einen Sinn."
Von der Fachdidaktik würde ich mir wünschen,
daß sie die aktuellen Lehrpläne genau analysiert, Fehler aufdeckt,
konkrete Verbesserungsvorschläge macht und für den "Alltagsbiologieunterricht"
Musterstunden von hoher Qualität entwickelt. Dieser Stundenfundus
sollte nach und nach den ganzen Lehrplan abdecken. Die Ausarbeitungen von
Einzelstunden sollten weniger die fachwissenschaftlichen Inhalte darlegen,
sondern konkrete methodische Hinweise und kleinschrittige Hilfen enthalten.
Der Unterricht, Didaktik im engeren Sinne und Methodik der einzelnen
Stunde sollte im Mittelpunkt der Arbeit stehen.
Man könnte sich auch vorstellen, Musterstunden mit
Unterrichtsmaterialien im Internet zur Verfügung zu stellen.
Eine solche Sammlung würde wesentlich zur Qualitätsverbesserung
des Unterrichts und zur Arbeitsentlastung der Lehrkräfte beitragen.
Eine Verbesserung der Lehrerfortbildung sollte auf freiwilliger
und auch auf verpflichtender Basis angestrebt werden. Zum einen sollten
in den Schulen selbst und zwischen Nachbarschulen bessere Möglichkeiten
der Zusammenarbeit von Lehrerinnen und Lehrern institutionalisiert werden.
Die Inhalte der Lehrerfortbildungsveranstaltungen sollten überdacht
werden, die Kurse nur in den Schulferien stattfinden und für alle
Lehrkräfte der Besuch einer Weiterbildungsveranstaltung innerhalb
von zwei bis drei Jahren verbindlich sein. Nach dem Beamtenrecht dient der Teil der
Ferien, der über den normalen Urlaub hinausgeht, sowieso der Weiterbildung.
Voraussetzung sind Entlastungen auf anderen Gebieten, z.B. durch das Sekretariat
bei Verwaltungsaufgaben.
Bevor man widerspricht, sollte man bedenken, daß
sich manche Lehrer ohnehin in den Ferien fortbilden und daß es Spaß
machen kann, gemeinsam Stunden zu entwickeln. Hat man Einzelstunden gut
ausgearbeitet, spart man während der Schulzeit Vorbereitungszeit.
Vom Inhalt und von der Methodik her gute Stunden erhöhen Interesse
und Motivation der Schüler und entlasten damit
zusätzlich.
Außerdem sind Fortbildungsveranstaltungen mit konkreten
Praxisbeispielen nötig, die die Lehrer befähigen, besser auf
die Schüler und ihre sozialen Probleme einzugehen.
Schüler sollten schon "dort
abgeholt werden, wo sie stehen"; dann sollten sie aber nicht getragen,
sondern durch guten Unterricht motiviert und gefordert werden.
Eine besonders geeignete Art des "Abholens" ist der forschend-entwickelnde
Unterricht, der dafür sorgt, daß alle mit den gleichen Voraussetzungen
anfangen und dann eine breite Mitarbeit auf ganz unterschiedlichem Niveau
verlangt.
Durch eine breit angelegte Initiative, ähnlich
der Stiftung Lesen, müßte erreicht werden, daß sich mehr
Eltern als bisher ausreichend Zeit für ihre Kinder nehmen, mit ihnen
vieles unternehmen und so Interessen wecken und fördern. Diese Interessen
können dann auch später in den Unterricht eingebracht werden.
Von den Schülerinnen und Schülern sollten größere
Anstrengungen als sie bisher in der Regel üblich waren, erwartet und auch
verlangt werden. Manche Jugendliche sind im Moment unterfordert; wenn sie
an Grenzen stoßen, sollte das ein weiterer Ansporn sein.
Die wohlverstandenen Schülerinteressen sind gleichzeitig
von großer gesellschaftlicher Bedeutung, da es sich bei den Jugendlichen
um die nächste Generation handelt.
Wenn der Regelunterricht am Vormittag weiterhin im Rahmen hoher Klassenfrequenzen stattfinden muß, so sollten am Nachmittag Zusatzangebote
für kleinere Lerngruppen eingerichtet werden. Hier kann man verstärkt
auf individuelle Interessen eingehen und auf vielfältige Weise
das Sozialverhalten üben.
Hoffnungsvoller Ausblick
Es muß angestrebt werden, die Ideenfülle und
Stoffdichte der Unterichtsstunden durch vielseitige Auswahlaspekte zu steigern. Es
muß mindestens problemlösend, am besten forschend-entwickelnd
mit einem "Gesamtbild" als Ziel unterrichtet werden.
Ein Wandel könnte hier schnell zustande kommen. Falls
es zu einem Wettbewerb zwischen den Universitäten kommen sollte, hat
das auch Auswirkungen auf die Ansprüche gegenüber den Schulen.
Eltern und Jugendliche werden erwarten, daß sie die Aufnahmeprüfung
einer angesehenen Universität bestehen. Ein zentrales Abitur wäre
eine gute Sache: Die Leistungen wären vergleichbar, die Lehrpläne
würden genauer eingehalten, die Eltern ließen sich einen hohen Unterrichtsausfall nicht bieten, Schüler und Lehrer strengten sich gemeinsam an, die Arbeit der Lehrer würde indirekt kontrolliert, was ein Ansporn wäre.
Der straffende und im besten Sinne disziplinierende Effekt wäre enorm.
Zusammenstellung der Auswahlkriterien
Literatur
/1/ Weinert, F.E.: Der intelligente Umgang mit Information.
- In: Treusch u.a. (Hrsg.): Koordinaten der menschlichen Zukunft: Energie
– Materie – Information – Zeit.. – Hirzel. – Stuttgart, 1997. – S. 362
/2/ Ewers, M.: Strukturgitter der Naturwissenschaftsdidaktik.
– Neue Deutsche Schule. – Essen, 1977
/3/ VDBiol-Kommission: Konzept für eine fächerübergreifende
Allgemeinbildung um die Jahrtausendwende. – In: Biologie in unserer Zeit.
– 26 (1996) 6. – S.*93
/4/ Margulis, L. u.a.: Die fünf Reiche der
Organismen. – Spektrum. – Heidelberg, 1989
/5/ Bossert, U.: Forschend-entwickelnder Biologieunterricht
in der Sekundarstufe I. – In: Biologie in der Schule. – 47 (1998)
3. – S. 154-158
/6/ Bossert, U.: Modellexperimente zum Wärmehaushalt
der Säugetiere. – In: Biologie in der Schule. - 47 (1998)
5. – S. 268-271
4.Oktober 1998
© B.Bossert